Dienstag, 16. August 2016

Wen oder was wählt Berlin?

Beginn des Wahlkampfes


Im September wählt Berlin ein neues Abgeordnetenhaus. Für den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) wird es seine erste Wahl als Chef im Roten Rathaus. Der Arbeitsplatz ist ihm nicht neu, war er doch vorher Senator für Stadtentwicklung und enger Vertrauter von Amtsvorgänger Klaus Wowereit.
Allerdings war schon seine Nachfolge innerhalb der Partei nicht gänzlich unumstritten, denn gleich drei mögliche Bürgermeister ist spe bewarben sich um Wowereits Nachfolge: Neben Michael Müller waren es Raed Saleh und Jan Stöß. Über Wochen entbrannte damals ein offener Machtkampf. Selbst die einfachen Parteimitglieder wurden mit hineingezogen. Gipfel des Ganzen war ein langer Wahlkampf innerhalb der Berliner Sozialdemokraten. An dessen Ende standen dann nicht nur ein neuer Bürgermeister, sondern auch zerstörte Karrieren und kaputte Freundschaften.
Egal: Michael Müller setzte sich intern durch und wurde mit den Stimmen von SPD und CDU zum neuen Regierenden gewählt.


Willkommen in der Gegenwart


Springen wir ins Jetzt: Gut zwei Jahre nach dem Abtritt Klaus Wowereits und dem Antritt Müllers als Chef im Roten Rathaus, beginnt jetzt die heiße Phase im Wahlkampf. Sprichwörtlich heiß dürfte es auch zugehen, denn laut neuesten Umfragewerten der Website www.election.de liegen alle vier großen Parteien in der Hauptstadt nahezu gleich auf. Selbst die Neulinge der AfD sind nicht gänzlich abgeschlagen und dürften ihren Platz im Parlament sicher haben. Auch mit der Rückkehr der Liberalen ins Abgeordnetenhaus ist zu rechnen. Obwohl die FDP es in Berlin immer schwer hatte, sehen die Umfrageinstitute die Partei bei fünf bis sieben Prozent.

Noch führt die SPD ganz knapp vor ihrem Koalitionspartner. Doch die Umfragen trügen etwas. Eine breite Anzahl an Berlinern hat sich noch nicht auf eine Partei festgelegt, oder weiß nicht, ob sie ihre Stimme überhaupt abgeben wollen. An der Politikverdrossenheit der Menschen liegt das nur bedingt. Häufig ist die ablehnende Haltung gegenüber der Politik viel einfacher zu erklären: Schlicht und ergreifend kennen die Bürger ihre Volksvertreter nicht. Sicher, die beiden Aushängeschilder der Berliner Landespolitik, Michael Müller und Frank Henkel, sind den meisten Menschen ein Begriff, doch danach wird es schon schwierig. Ein Großteil der Berliner kennt nichtmal alle Senatoren, beziehungsweise deren Aufgabengebiete.
Viel besser sieht es in den Bezirken auch nicht aus. Das Bild ist hier eher noch viel trüber: “Mein Bezirksbürgermeister - das unbekannte Wesen” wäre eine passende Überschrift. Auch für diesen Artikel.

Woran liegt das aber? Am Desinteresse der Bevölkerung? Ja, gewiss. Aber nur teilweise. Sind die meisten Sitzungen der Ausschüsse und BVVen (Bezirksverordnetenversammlungen) doch öffentlich. Die Termine werden in den Lokalblättern abgedruckt und sind über die Websites der Bezirksämter abrufbar. Trotzdem herrscht oftmals Zuschauermangel. Vielmehr liegt es wohl am mangelnden Bekanntheitsgrad der Hobbypolitiker und deren Tätigkeiten. Ich selber erwische mich ja auch dabei, wenn ich versuche mir zusammenzureimen, wer nun eigentlich mein Bürgermeister ist. Und alle vier, beziehungsweise fünf Jahre kommt das ganz große Erstaunen: “ Ach, den habe ich damals gewählt? Oder dieser Politiker vertritt mich?”
Ja, ich gebe es zu: Die Lokalpolitik geht mir an gewissen Stellen vorbei. Nicht, weil ich nicht interessiert bin. Nein, ich habe einfach völlig die Bindung an diese Menschen verloren. Dabei bin ich wirklich an Politik interessiert. Sie ist spannend und kann viele Dinge bewegen. Tagtäglich werden wir in den Nachrichten Zeugen von Weltgeschichte.


Was kann die Politik tun?


Mit der Beantwortung dieser Frage tue ich mich nicht leicht. Denn schon viele Journalisten vor mir haben sich einer ähnlichen Problematik ausgesetzt gesehen. Und natürlich ist auch ihnen keine ultimative Lösung eingefallen. Häufig gab es nur gute Lösungsansetzte, die zwar in feierlichem Rahmen besprochen wurden, doch umgesetzt wurden sie nie. Aus den unterschiedlichsten Gründen. Ich denke, die Politik hat hier einfach ein massives Problem in der Außenwirkung. Denn was nutzen die besten Vorschläge, wenn sie verabschiedet werden, aber anschließend in irgendeiner Schublade versauern? Richtig! Nichts! Hätte man sich das ganze Theater sparen können. Doch dieses Schauspiel wiederholt sich vor jeder Wahl aufs Neue.
Jede Partei macht die größten Wahlgeschenke und jeder Kandidat verspricht dem Wähler das Blaue vom Himmel. Kaum in Amt und Würden, hat einGroßteil den Resetschalter betätigt und weiß von nichts mehr.

Natürlich, das war eben der dargestellte Extremfall. Kommt so, oder so ähnlich, bestimmt auch vor. Dürfte und sollte bei unseren Volksvertretern, egal auf welcher Ebene, aber nicht der Regelfall sein. Denn eigentlich achten die zuständigen Orts- und Kreisverbände schon sehr genau auf die Personalauswahl. Eine völlige Sicherheit bei der Kandidatenwahl gibt es dann aber auch nicht, wie jüngst der Fall einer Essener SPD-Abgeordneten im Bundestag zeigt. Gut, sie hat nicht wirklich betrogen, nur ihren Lebenslauf frisiert. Doch zur Festigung des Glaubens in die gewählten Volksvertreter trägt das garantiert nicht bei.


Was muss die Politik tun?


In erster Linie muss sie ehrlich zu den Wählern sein. Nein, eher zu allen Menschen. Denn auch die Nichtwähler bekommen die Auswirkungen der Politik am eigenen Leibe zu spüren. Gerade in einer Großstadt wie Berlin ist es da mit ein paar einfachen Floskeln nicht getan. Die Menschen brauchen immer Zeichen die greifbar sind. Wenn also ein Politiker etwas verspricht, sollte er es auch halten. Muss ein normaler Handwerker ja auch tun, sonst geht der Kunde zur Konkurrenz. Und die ist bekanntlich groß.

Wo ist das Problem, wenn die Politiker anfangen, nicht mehr nur mit schönen Worten umsich zu werfen, sondern mit der Wahrheit anfangen? Eigentlich gibt es da keine Probleme. Denn im schlimmsten Fall ist lediglich das Mandat weg, weil man am Ende der Legislaturperiode wieder abgewählt wurde. Na und? Es ist nichts passiert, denn ein Politiker haftet nicht mit seinem Privatvermögen. Genau genommen ist das ein Freifahrtsschein um Unsinn erzählen zu können. Bezahlt versteht sich!
Und da fangen die Probleme an. Das auch Hobbypolitiker eine gewisse Aufwandsentschädigung bekommen, ist richtig. Doch hier gäbe es eine Menge Sparpotential. Eine klamme Stadt wie Berlin, könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen.

Es wäre bestimmt im Sinne des Finanzsenators und des Steuerzahlers, wenn es Staffelungen für die Bezahlung der Mandatsträger gäbe. Zum Beispiel könnte jeder Parlamentarier seine Gehälter offen legen. Er bekäme dann nur noch das an Aufschlag, was ihm von seinem normalen Gehalt zur Diät fehlt. Und wer schon jetzt mehr verdient, als ein Abgeordneter, der bekäme eben nichts, oder nur einen Grundbetrag, womit er die Umweltkarte bezahlen kann. Für umsonst soll auch ein besserverdienender Abgeordneter nicht arbeiten müssen. Wäre auch nicht klug, da sich die Politik sonst einen Teil des eigenen Nachwuchses abhacken würde. Obwohl, ein paar Enthusiasten gäbe es auch dann noch…

Die Politik muss jedenfalls viel transparenter werden. Der Schritt ins Social Media ist sicherlich ein guter Anfang. Mehr jedoch nicht. Viel wichtiger ist es, glaubwürdig zu bleiben und wieder einen Zugang zu den Wählerinnen und Wählern zu finden. Setzt aber auch vorraus, dass der Wähler sich auch erreichen lassen will und sich der Politik nicht völlig verschließt.

Das man die Menschen erreichen kann, zeigen die Wahlerfolge der AfD doch ganz gut.
“Also liebe Politiker, setzt Euch auf den Hintern und macht was.”


Mögliche Szenarien für den Wahlausgang


Szenario 1: Die GroKo hat nochmals die Kurve bekommen und stellt eine regierungsfähige Mehrheit. Michael Müller bleibt Regierender Bürgermeister, da seine SPD vor der CDU ins Ziel kam. Mangels anderer Machtoptionen regiert der ungeliebte Senat weiter.

Szenario 2: Die GroKo hat nochmals die Kurve bekommen und stellt eine regierungsfähige Mehrheit. Jedoch wurde die Union unter Frank Henkel stärkste Kraft. Mangels anderer Machtoptionen tauschen Henkel und Müller die Büros, ein Senat und Frank Henkels Führung nimmt die Arbeit auf.

Szenario 3: Rot-rot-grün kann eine regierungsfähige Mehrheit im Abgeordnetenhaus stellen. Michael Müller bleibt Chef im Roten Rathaus, Harald Wolf von den Linken wird wieder Wirtschaftsenator und Stellvertreter.
In der aktuellen Situation scheint diese Kombination am wahrscheinlichsten zu sein.

Szenario 4: Rot-grün-gelb. Eine starke FDP meldet sich zurück. Ihr Ergebnis macht eine Ampel interessant. Als Vorbild dient die Pfalz.

Szenario 5: Ein Senat aus CDU und Grünen. In anderen Bundesländern funktioniert eine Schwarz-grüne Ehe sehr gut. Doch in Berlin würden wohl Feuer und Wasser aufeinander treffen.

Szenario 6: CDU, Grüne & FDP. Reizvoll. Aber auf Grund der aktuellen Umfragen und den zwischenmenschlichen Beziehungen der Spitzenkandidaten untereinander, völlig ausgeschlossen.

Dann bliebe noch eine Übersicht der Koalitionen, die nur reine Träumerei des Autors sind und wohl nichts mit der politischen Wirklichkeit zu tun haben:

Szenario 7: Die Grünen holen die meisten Stimmen bei der Wahl und hätten somit das Vorschlagsrecht für den Bürgermeister. Als Koalitionspartner kämen dann alle Parteien aus dem Abgeordnetenhaus in Frage, mit Ausnahme der AfD.

Szenario 8: Rot-rot & Rot-rot-grün unter Führung der Linken. In Thüringen regiert eine solche Kombination. Ob es ein Vorbild für Berlin wäre, kann ich mir nicht vorstellen.

Szenario 9: CDU/Linke & Linke/CDU. Tja, was soll man da groß schreiben? Möglich wäre es. Wohl aber nur in den kühnsten Träumen des Schreiberlings.

Szenario 10: Die AfD wird stärkste Kraft, oder muss mit in den Senat...Nein, fällt aus, da der Wecker klingelt.

Ganz egal, was im September gewählt wird, der neue Senat hat große Aufgaben vor sich. Man kann dem neuen oder alten Chef im Roten Rathaus nur ein glücklicheres Händchen wünschen. Die Berliner würden es ihm danken.